China wird das Silicon Valley der Zukunft – dank TikTok

Die chinesische App wird zu einem globalen Unternehmen und andere werden schon bald folgen.

TikTok sei keine chinesische App mehr

Die App stammt von dem chinesischen Mutterkonzern ByteDance, der mehrere ähnlicher Plattformen besitzt. Dennoch spielen die Inhaber von TikTok die Herkunft der App herunter, was nicht ungewöhnlich für die Herausgeber chinesischer Apps ist. Sie möchten dadurch den Eindruck entstehen lassen, dass es sich nicht um eine chinesische App, sondern eine globale Plattform handelt. Mittlerweile hat TikTok eine Basis von 690 Millionen Nutzern weltweit, darunter auch 100 Millionen in Europa und 100 Millionen in den USA. Bisher entstand häufig der Eindruck, dass China eigene Versionen westlicher Apps erstellt und somit die digitale Infrastruktur aus dem Silicon Valley einfach kopiert. Doch durch die Kombination erfolgreicher Apps mit der dazugehörigen Technik, die heutzutage ebenfalls in China produziert wird, könnte unsere Technologie in Kürze maßgeblich von Asien aus gestaltet werden. Vom Bestellen eines Taxis, über das Kaufen der Weihnachtsgeschenke, das Spielen im live Casino online und der Navigation zur nächsten U-Bahn-Station, bis hin zu Finanztransaktionen: Die Zukunft der Technologie wird maßgeblich vom Erfolg TikToks und chinesischer Technologie beeinflusst werden.

Angst vor Spionage und Propaganda

Mit dem sichtbar wachsenden Einfluss der ausländischen Anwendung steigt auch die Besorgnis um Datensicherheit und politische Beeinflussung. Erst 2017 hat die chinesische Regierung ein Gesetz erlassen, das jede Organisation und jeden Bürger dazu verpflichtet, den Geheimdienst zu unterstützen und mit der Behörde zu kooperieren. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die App vermehrt zahlreiche Daten ihrer Nutzer ausliest, sorgt zusehends für Beunruhigung. Beispielsweise hat sich herausgestellt, dass die auf der Zwischenablage gespeicherte Daten gelesen wurden. Letzteres schien auch der Fall bei zahlreichen anderen Apps, wie zum Beispiel LinkedIn oder BBC, gewesen zu sein. Dennoch hat diese Besorgnis dazu geführt, dass TikTok in einigen Ländern 2020 gesperrt wurde. Donald Trump hatte dies für die USA medienwirksam versucht. Ein Gericht hat den Bann der App jedoch zunächst aufgehalten. Solange dem Gericht keine schriftliche Begründung für den Bann vorliegt, darf die App weiter genutzt werden. Auch in Indien ist die App gesperrt worden. Hier wurde der Grenzkonflikt mit China im Himalaya-Gebiet als Grund angegeben. Indien sieht seine Souveränität durch die Anwendung bedroht. In Deutschland hat sich die App 2019 dazu verpflichtet, den Zugang für Nutzer, die jünger als 13 Jahre sind, zu regulieren und dadurch die Privatsphäre von Kindern zu schützen. Das Ergebnis dieser Untersuchung der Einhaltung dieses Versprechens steht noch aus.

Zensur und Moderation dem Westen ein Dorn im Auge

Mithilfe von Priorisierung kann gelenkt werden, welche Videos eine hohe odere niedrige Reichweite haben, bzw. welche Themen den meisten Nutzern angezeigt werden. TikTok wurde vorgeworfen, durch seinen Algorithmus Nutzer zu diskriminieren. Die Videos von Übergewichtigen oder Menschen mit Behinderung wurden systematisch de-priorisiert. Diese Art der Ungleichbehandlung wäre unter anderem mit dem deutschen Grundgesetz eigentlich nicht vereinbar. Anderweitig wird die App ebenfalls politisch. Auch, wenn sich die Verantwortlichen bemühen, die Anwendung zu lokalisieren und den Standards und Werten der jeweiligen Region anzupassen, greift die App frühzeitig ein und löscht Videos, die als zu problematisch gelten oder auch unliebsame politische Botschaften verbreiten. Zu den gelöschten Videos zählten unter anderem Aufnahmen vom Tian’anmen-Platz oder der tibetischen Freiheitsbewegung. Zum großen Teil passiert das sogar automatisiert. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2020 wurden 104 Millionen Videos gelöscht. Rund 90 Prozent davon waren zuvor nicht ein einziges Mal angeschaut worden.

Die etwas andere Filter Bubble

Das Phänomen der “Filter Bubble” ist heutzutage nicht mehr unbekannt: Je öfter ich Inhalte Teile oder mit “gefällt mir” markiere, desto mehr wird mir davon angezeigt. Die bekannten Apps aus dem Westen, darunter auch Facebook und seine Tochterfirma instagram, verlassen sich dabei auf das soziale Netzwerk. Die Kontakte, die wir pflegen, und deren Nutzerinformationen und Inhalte, haben einen Einfluss auf das, was uns angezeigt und vorgeschlagen wird. Es entstehen kleine digitale Netzwerke, in denen alle ähnliche Inhalte zu sehen bekommen und untereinander austauschen. Werbetreibende machen sich dann diese “Blasen” zu Nutze und schalten gezielt Werbung für die Netzwerke, deren Interessen zum beworbenen Produkt passen. Durch dieses effiziente Vorgehen können Werbungskosten erheblich gesenkt werden. Die chinesischen Apps dagegen zielen auf die Interessen des Individuums ab. Statt sich anzuschauen, was im sozialen Umfeld vor sich geht, versuchen die Algorithmen möglichst viel über den Anwender selbst zu lernen. Als Grundlage werden im Beispiel von TikTok die Videos erforscht, die der Nutzer zuvor gesehen hat und nicht, welche Videos die Kontakte gesehen haben. Durch diesen Algorithmus können Ersteller von Videos über Nacht zur Berühmtheit werden, sowie genau so schnell vom nächsten abgelöst werden. In der verwandten App Youtube dagegen haben sich einige eine treue Fangemeinde aufgebaut, wodurch ihre Reichweite gestiegen ist und auch nachhaltiger bleibt. Dies war jedoch auch mit mehr Anstrengung verbunden.

Wie könnten unsere Apps also in Zukunft aussehen?

Asiatische Apps haben einige Charakteristika, die hier eher noch ungewöhnlich sind. In Zukunft könnten unsere Anwendungen aber ähnlich strukturiert sein. In China ist es zum Beispiel keine Seltenheit, dass eine Anwendung zur “Superapp” wird. Dann wird alles mit einer App erledigt – von Bankgeschäften bis zum Schuhkauf. Schon heutzutage sieht man diese Einfluss in bereits bekannten Apps. Facebook hat beispielsweise zur eigentlichen Funktion der sozialen Vernetzung noch einen Marketplace hinzugefügt, auf dem gleichzeitig Konsum betrieben werden kann. Auch eine Möglichkeit, Videos zu schauen, wurde eingerichtet. Auch bei instagram gibt es nun eine Videoplattform und es lassen sich in der App Einkäufe tätigen, bzw. direkt auf die Seite des beworbenen Produktes verlinken. Das spiegelt auch die am weitesten verbreitetste Kombination von App-Funktionen in chinesischen Apps wider: Soziale Medien und Kommerz. Es bleibt nun noch offen, wer den Kampf gewinnt, zur beliebtesten Superapp zu werden. Für diese Integration mehrerer Funktionen in einer Anwendung wird es notwendig sein, immer mehr Daten über den Nutzer zu sammeln.

Der Fokus auf dem globalen Markt liegt zusehends auf der Lokalisierung. Durch das Zusammenwachsen des Marktes lassen sich lokale Märkte wesentlich einfacher erschließen. Das heißt, dass während Google und Facebook sich ein Stück des asiatischen Marktes erkämpfen, die dort ansässigen Technologie-Riesen sich beispielsweise auf dem US-amerikanischen Markt ausbreiten. Es wird nicht mehr lange dauern und wir können uns von dem gewohnten Anwendungsdesign, welches die letzten 20 Jahre vom Silicon Valley aus bestimmt wurde, verabschieden.

 

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